Schweizer Flagge vor Bergpanorama. Bildquelle:olten.ch

Es gibt doch wirklich Leute, die beschimpfen sich selbst als Schweizer Nationalisten. Mal abgesehen davon, dass ich Nationalisten sowieso nicht mag, handelt es sich hierbei um einen Widerspruch in sich.

 

 

Europa im Mittelalter war geprägt durch das Feudalsystem. Dieses System besitzt durch seine klare hierarchische Ordnung einige Vorteile: So ist z.B. eine Verbindung zur obersten Gewalt nicht notwendig. Unabhängig davon, worum es geht, die Ansprechperson des einfachen Mannes ist immer sein Graf oder Baron, bzw. dessen Lakaien. Und sollten wir nach einem Krieg oder was auch immer einen neuen König haben, so konnte uns das egal sein, denn wir hatten weiterhin unseren Grafen/Baron. Zumindest solange der neue Herrscher intelligent genug war, das Führungspersonal nicht auszutauschen. Es war darum egal, ob ich nun dem englischen, französischen oder römisch-deutschen König Untertan war. Grenzen wurden täglich neu gezogen und ausser der bbersten Herrschaftsschicht interessierte das niemanden.

Die Ziehung der Grenzen war willkürlich, unabhängig von Sprache oder Kultur und niemand störte sich gross daran. Zum Beispiel das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen (HRR) war ein Vielvölkerstaat mit Deutschen im Zentrum, den Lombarden im Süden, Slawen im Osten von Pommern über Tschechien zu Slowenien, Holländer im Nordwesten und im Westen von Lothringen bis in die Provence, was man heute Franzosen nennt. Die Kaiser und Könige des Reiches waren auch nicht immer deutsche, nicht mal aus dem Reich selbst: 1257 waren die beiden Könige Richard von Cornwall, ein Neffe des englischen Königs Richard Löwenherz und Alfons von Kastilien, der König von Kastilien und León. 1519 bewarben sich drei Männer, allesamt bereits Könige, um den römscih-deutschen Thron: Heinrich der VIII. von England, François I. von Frankreich und Karl I. von Spanien. Letzterer bestieg den Thron dann als Karl V. Aber auch in anderen Reichen, wie Frankreich oder Grossbritannien waren Kultur und Sprache alles andere als einheitlich.

Doch mit dem auslaufenden Mittelalter lief auch die Zeit des Feudalsystems aus (abgesehen vom sehr lockeren HRR). Ersetzt wurde er vielerorts durch den Absolutismus. Der regionale Adel wurde entmachtet und die Verwaltung wurde zentral vom Königshof aus gesteuert. Und plötzlich änderte sich etwas für den Bauern. Nicht mehr der lokale Fürst verhandelte mit ihm, sondern ein Beamter aus der Hauptstadt. Und der sprach plötzlich nicht mehr seine Sprache, sondern die der Herrschaft. Und hier liegt nun die Wurzel des Nationalismus. Entweder, der Bauer passte sich an, übernahm Sprache und Kultur der Zentralregierung, oder er wurde schikaniert, marginalisiert, ... oder er revoltierte, wurde unabhängig oder schloss sich einem Staat an, welcher ihm eher entsprach.

Item, das Land wurde auf eine Sprache und Kultur getrimmt und aus einem Land wurde eine Nation. Besonders als dann im 19. Jh. vielerorts die Monarchen abgesetzt und durch Republiken ersetzt wurde, fehlte die letzte Integrationsfigur, um Staaten zusammenzuhalten, welche nicht über Sprache und Kultur zusammenhielten.

Die Geschichte der Schweiz ist jedoch eine andere und in vielen Punkten einzigartige. Die Eidgenossenschaft als Republik im HRR war reichsfrei, das heisst, direkt dem römisch-deutschen König, bzw. Kaiser unterstellt. Solche gab es viele, jedoch beschränkte sich das sonst auf einzelne selbstverwaltete Städte und ihr Umland. Das einzige ähnliche Konstrukt war vielleicht die Hanse, ein Verbund reichsfreier Städte an der Nord- (damals noch West-) und Ostsee, welcher sich jedoch wieder auflöste, als das Geld im Handel sich im 16. Jh. von den Binnenmeeren weg, hin zum Überseehandel verlagerte. Das die Schweiz eine Republik war, änderte aber nichts daran, dass sie im Mittelalter dezentral organisiert war, ähnlich dem Feudalsystem. Deswegen war für den Mann von der Strasse auch egal, ob jetzt da nur Alemannen dabei sind, oder ob da auch andere Völker mitmischen. Aber anders als die Monarchien um uns herum durchliefen wir nie den Absolutismus. Es gab keine Zentralregierung, welche ihre Beamten auch in das hinterletzte Bergdorf schickte, keine Vereinheitlichung von Kultur und Sprache. Und entsprechend keinen Nationalismus.

Jetzt, natürlich gab es auch in der Schweiz Nationalisten, Ideen bleiben nicht an Landesgrenzen stehen. Vor allem um die beiden Weltkriege herum geisterten sie umher, gottseidank erfolglos. Doch was wollten diese Nationalisten? Nicht alle haben sich klar dazu geäussert, aber schlussendlich das gleiche wie auch die österreichischen Nationalisten, "heim ins Reich", der Zusammenschluss mit den den Sprach- und Kulturgenossen jenseits des Rheines. Einige wollten das vielleicht nicht so direkt, aber schlussendlich wäre es die Konsequenz ihrer Ideologie gewesen. Ob wir Deutschschweizer den Rest der Schweiz mitgenommen hätten, damit auch das Reich sein "Südtirol" erhält, oder ob sich die Romands den Franzosen und die Tessiner den Italiener hätten anschliessen dürfen, ist die Frage, tut aber nichts zur Sache. Nationalismus ist das Ende der Schweiz.

In West- und Mitteleuropa gibt es heute noch zwei weitere Vielvölkerstaaten (und zwei oder drei weitere, welche entdeckt haben, dass sie eigentlich Vielvölkerstaaten wären, z.B. Spanien), beides immer noch Monarchien: Belgien und das Vereinigte Königreich. Und beide stehen dank Nationalisten nicht allzu weit von einer Spaltung.

Darum: wer die Schweiz liebt, wer hinter der Idee der Schweiz steht, und wer ein wahrer Patriot ist, stemmt sich gegen jeglichen Nationalismus. Er wäre das Ende der Schweiz.

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